2. März 1820 – 19. Febr. 1887 Multatuli (d.i. Eduard Douwes Dekker) wird 1820 in Amsterdam geboren, er lebt von 1839-1857 als leitender Kolonialbeamter in Niederländisch-Indien, dem heutigen Indonesien. Hier macht er die wichtigen Erfahrungen, die er später in seinen Werken verarbeiten sollte; insbesondere wächst in ihm die Empörung über die koloniale Ausbeutung und Misshandlung der Eingeborenen, der er in dem in wenigen Wochen geschriebenen Roman „Max Havelaar“ (1860) Ausdruck verleiht, den er unter dem Pseudonym Multatuli (d.h. ich habe viel ertragen) veröffentlicht. Der autobiographische Roman mit dem Untertitel: „Die Kaffeeversteigerungen der Holländisch-Ostindischen Companie“, lässt die schreckliche, barbarische Gewalt gebrauchende Politik der kolonisierenden Europäer lebendig werden. Seinem Helden Max Havelaar steht der Pfeffersack Droogstoppel gegenüber, der Multatuli zu dem Stoßseufzer bringt: „Mein Unglück ist, in Holland geboren zu sein, einem Land, wo nur eine Macht herrscht, ein Glaube, ein Gott: das Geld! Multatuli will, dass die Menschen Brot haben – Brot, Fleisch und Lust am Leben.“ Während der letzten 30 Jahre seines Lebens führt er ein unstetes Wanderleben als Journalist, Schriftsteller und Vortragsredner in den Niederlanden, Belgien und Deutschland: Bad Homburg, Mainz, Kassel, Köln, Koblenz, Frankfurt sind von 1858-1868 einige der Stationen seiner Odyssee. In seiner Heimat ungeliebt, verbringt er die letzten 17 Jahre bis zu seinem Tod fast ausschließlich in Deutschland. Die ruhigste Periode seiner zweiten Lebenshälfte werden für ihn die fast neun Jahre, die er von 1870-1879 in Wiesbaden wohnt. In diesen Wiesbadener Jahren schreibt er rund zwei Fünftel der zu seinen Lebzeiten veröffentlichten Werke, insbesondere die Millionenstudien und die letzten fünf Bände der Ideen; so erreicht er erstmalig auch finanziell eine gewisse Sicherheit. Nach einem anderthalbjährigen Aufenthalt in Geisenheim am Rhein zieht Dekker 1881 nach Ingelheim am Rhein, wo er 1887 stirbt. Multatuli lässt sich als einer der ersten Holländer in Gotha einäschern. Das Hotel Multatuli, in seinem Wohn- und Sterbehaus, bewahrt heute sein Andenken. Multatuli wurde um 1900 auch in Deutschland intensiv gelesen; Sigmund Freud, Hermann Hesse und Klaus Mann zählten den holländischen Schriftsteller und Philosophen zu ihren Lieblingsautoren. Während er in den Niederlanden auch heute noch zur gymnasialen Pflichtlektüre gehört, ist er in Deutschland zu Unrecht nahezu unbekannt geworden. Die aufklärerischen und humanistischen Ideale, für die er sich in seinen Werken wie in seinem Leben unermüdlich einsetzte, sind weiter von großer Aktualität und erfrischende Anregungen für einen kritischen Diskurs. Gerade in einer Zeit globaler Vernetzung bleibt die Erinnerung an Multatuli unverzichtbar; er verbindet Europa und den Fernen Osten. Er hat lange vor den postkolonialen Debatten (Stichwort: Eurozentrismus) den europäischen Kolonialherren den kritischen Spiegel in einer unvergleichlich poetischen Sprache nachdrücklich vorgehalten.
Ein Blick in seine Aphorismen kann am ehesten zeigen, was man erwarten darf, wenn man ihn liest:
„Die wahre Gleichheit besteht nicht darin, dass alle gleiche Röcke tragen, sondern daß jeder einen Rock hat, der ihm passt.“
„Wer zufrieden ist mit seiner Arbeit, hat Grund zur Unzufriedenheit mit seiner Zufriedenheit.“
„Een parrelduiker vreest den modder niet.“ (Ein Perlentaucher fürchtet nicht den Sumpf.)
„Es gab immer mehr Schafe als Wölfe. Der Grund ist einfach. Jeder Wolf braucht viele Schafe, um einigermaßen auskommen zu können.“
„Wenn ein Läufer ein Bein bricht, ist große Freude bei den Kriechern.“
„Die Bestimmung des Menschen ist Mensch zu sein.“ (De roeping van de mens is mens te zijn.)
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